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Im Leiden und im Kampf.
Brünner Juden in schicksalshaften Momenten des 20. Jahrhunderts
In der Niederösterreichischen Landesbibliothek Sankt Pölten wurde erstmals die deutschsprachige Ausgabe des vom
mährischen Landesmuseum herausgegebenen Buches "Im Leiden und im Kampf. Brünner Juden in schicksalshaften
Momenten des 20. Jahrhunderts" präsentiert. Sankt Pölten verbindet mit der mährischen Metropole eine langjährige
Städtepartnerschaft.
Die Blütezeit der mährischen Metropole Brünn lag in den 20er und 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In dieser
Zeit wuchs auch die jüdische Gemeinde Brünns stark an. Einerseits war die aufstrebende Industriestadt Anziehungspunkt
für Juden aus anderen Städten der Umgebung, andererseits bot das liberale Brünn auch deutschsprachigen Juden, die nach
der Machtergreifung Hitlers aus dem NS-Herrschaftsgebiet fliehen mussten, einen Zufluchtsort. So wuchs die Anzahl der
jüdischen Bewohner Brünns auf über 11.000. Viele von ihnen prägten den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung
mit.
Mit der Auflösung der Tschechoslowakei und der Eingliederung Mährens in das Protektorat wurden den Brünner Juden
systematisch aller bürgerlichen Rechte und ihres Vermögens beraubt. Sie wurden in verschiedene Konzentrationslager
deportiert, gut 9700 jüdische Bürger Brünns überlebten diese Zeit nicht.
Nach dem Krieg gab es kaum Versuche einer Aufarbeitung der Schicksale und der Geschehnisse jener Zeit. Erst in jüngster
Zeit hat das Mährische Landesmuseum intensiv zu diesem Thema geforscht. Das Ergebnis ist das nun vorliegende Werk, das
die Biographien zahlreicher bekannter Persönlichkeiten - von Pavel Haas bis Fritz Grünbaum -, aber auch von einfachen
Menschen jüdischer Herkunft, und deren Schicksale in der NS-Zeit beleuchtet. Eingebettet sind diese Darstellungen in
detailliert recherchierten Hintergrundberichten, mit zahlreichen Originalfotos aus der Zeit. So entstand eine wichtige
Dokumentation der Zeitgeschichte, die eine bislang bestehende Lücke füllen konnte.
von links nach rechts:
Reinhard Linke, ORF Aktueller Dienst, Landestudio Niederösterreich -
Karl Wilfing, Landesrat - Hans-Joachim Alscher, Bibliotheksdirektor
NÖ Landesarchiv und NÖ Landesbibliothek - Gertrude Langer-
Ostrawsky, Archivdirektor-Stellvertreterin
NÖ Landesarchiv und NÖ Institut für Landeskunde - Tana Klementova,
Mitautorin Jüdisches Museum Prag, Außenstelle Brünn - Christoph
Lind, Institut für jüdische Geschichte Österreichs - Renate Stockreiter,
Lesung - Elisabeth Loinig, Leiterin des NÖ Instituts für Landeskunde
und Leiterin Öffentlichkeitsarbeit
NÖ Landesarchiv und NÖ Landesbibliothek - Jaroslav Klenovsky,
Jüdische Gemeinde Brünn - Hannes Brauner
Mährisches Landesmuseum Brünn
Vortragende: Renate Stockreiter
Die friedliche Kulisse der Vorweihnachtszeit stand Kontrast mit jenen Dingen, mit denen die zahlreichen Zuhörer der
Buchpräsentation durch den berührenden Vortrag von Renate Stockreiter konfrontiert worden sind. Szenen vom Abtransport
zu den Konzentrationslagern, Szenen aus dem Alltagsleben in den Ghettos, Geschichten von Not, Krankheit,
Herabwürdigung und Tod. In den Festreden zur Präsentation wiesen die Ehrengäste - darunter der Niederösterreichische
Landesrat Karl Wilfing, der Bürgermeister der Stadt Sankt Pölten Mathias Stadler, Tschechiens Botschafter in Wien Jan
Sechter und Elisabeth Loinig von der Niederösterreichischen Landesbibliothek auf die absolute Notwendigkeit hin, sich mit
diesem Thema auseinanderzusetzen.
In der anschließenden Podiumsdiskussion beleuchteten die Gäste aus Tschechien - Mitautorin Tana Klementova, Hannes
Brauner vom Mährischen Landesmuseum und Jaroslav Klenovsky von der jüdischen Gemeinde Brünn - die näheren
Umstände zu ihrer Arbeit. Der wichtigste Aspekt der Forschung war es, aus dem nüchternen Datenmaterial Einzelschicksale
von Menschen zu extrahieren, und daraus lebendige Geschichten,zu erzählen. Das sei im Rahmen der gegebenen
Möglichkeiten außerordentlich gelungen. Die Aufarbeitung der Zeitgeschichte sei in Tschechien wesentlich weniger stark
fortgeschritten als in Österreich, dementsprechend sei auch das Interesse an diesen Themen nicht so hoch. Dieses
Interesse vor allem bei der jungen Generation zu wecken, sei von enormer Bedeutung. Deshalb arbeitet man auf
tschechischer Seite intensiv mit den Schulen zusammen.
Zum Abschluss ließ Renate Stockreiter den Präsentationsabend mit einem Gedicht des in Brünn geborenen Humoristen und
Schauspielers Fritz Grünbaum ausklingen, in dem er - freilich noch vor dem Holocaust - seinen eigenen Tod als große
Inszenierung beschrieben hat. Grünbaum starb 1941 im KZ Dachau. Bis zuletzt half er sich mit Humor über die triste
Situation hinweg. Einem Aufseher klagte er die verheerende hygienische Situation im Lager: "Wer für Seife kein Geld hat,
soll sich kein KZ halten."
Unter der Redaktion von Jiri Mitacek haben die Autorinnen und Autoren Jan Brecka, Dalibor Fiala, Tana Klementova, Martin
Reissner, Vlastimil Schildberger jun. und Jana Splichalova einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der
Brünner Juden geleistet.
Mährisches Landesmuseum (Hg.):
"Im Leiden und im Kampf. Brünner
Juden in schicksalshaften Momenten
des 20. Jahrhunderts". Brünn (MZM)
2015 - ISBN:978-80-7028-452-0