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THEMA:
Deutsch in der Abseitsfalle?
Zliner Gans
Zwangsverordnet, benötigt, erstrebt, geliebt, verhasst, verboten, verpönt,
wiederentdeckt, neu bewertet. Deutsch ist für Tschechen weitaus mehr als
nur irgendeine Fremdsprache. Zu intensiv und bewegt war die Geschichte
des Deutschen in Böhmen und Mähren während der letzten 100 Jahre, zu
viele Emotionen gab es im Verhältnis Deutsch-Tschechisch.
Seit der Wende hat sich wieder Pragmatismus im Sprachgebrauch
durchgesetzt. Das Deutsche hat es in Tschechien nicht einfach. Deutsch zu
können ist als Qualifikation zwar ein Vorteil, aber kein entscheidender.
Englisch ist unangefochten die Nummer eins unter den Fremdsprachen,
sperrt diese Sprache doch das Tor in die große, weite Welt ganz weit auf.
Englisch wird vermehrt auch als Korrespondenzsprache mit deutschen
Geschäftspartnern genutzt, selbst im Tourismus setzt man eher auf
international, als auf die Sprache der Nachbarn. Gemeinsam mit den
Weltsprachen Französisch und Spanisch und dem für Tschechen relativ
einfach zu erlernenden Russisch rittert das Deutsche um den Status der
Zweiten lebenden Fremdsprache im Lande.
Dabei spielt ein Trend der letzten Jahre mit, nach dem das Deutsche
europaweit mehr und mehr an Bedeutung verliert (siehe nebenstehende
Tabelle). In der Deutschen Botschaft in Prag hat sich dieser Tage eine
Aktion ganz der Imagekorrektur des Deutschen verschrieben: Einen Tag
lang war die diplomatische Vertretung für die Allgemeinheit im Rahmen der
Sprachkampagne "šprechtíme" geöffnet, vor allem für Deutsch lernende
Schülerinnen und Schüler aus ganz Tschechien. Nicht nur die Möglichkeiten
des Spracherwerbes standen im Mittelpunkt, besonderes Augenmerk war
auf die diversen beruflichen Möglichkeiten mit Deutsch gerichtet, sagte der
Pressereferent der deutschen Botschaft Prag Ulrich Ernst. Ferner wurden
deutschsprachige Medien in Tschechien präsentiert. "Macht Deutschlernen
schlau?", diese Frage stellte man am Satnd des Deutschen Akademischen
Austauschdienstes (DAAD) und diskutierte über Forschungsergebnisse aus
der Hirnforschung und das Thema Mehrsprachigkeit.
Deutsch lernen in
der Schule:
Immer weniger Schülerinnen
und Schüler in Europa lernen
Deutsch als Fremdsprache. Das
verdeutlicht eindrucksvoll eine
Studie von Eurostat im Auftrag
der Europäischen Kommission.
Deutsch als Unterrichtsfach ist
demnach nur noch für Bürger
aus den Neuen EU-Staaten
attraktiv, hier lernen noch mehr
als die Hälfte der Schüler in der
Sekundarstufe II Deutsch. Die
Aussichten, in Deutschland oder
Österreich Arbeit zu finden, sind
dabei die wichtigste Motivation.
Tschechien reiht sich hier mit
61% der Schüler ein, wobei wie
in den meisten Ländern ein
eklatanter Abwärtstrend zu
bemerken ist.
ANTEIL DER SCHÜLER/INNEN
IN DER SEKUNDARSTUFE, DIE
DEUTSCH LERNEN:
2005 2010
lUXEMBURG* 96,7% 100,0%
SLOWENIEN 78,2% 68,9%
SLOWAKEI 75,2% 64,8%
KROATIEN 66,2% 61,2%
TSCHECHIEN 72,2% 61,0%
POLEN 72,5% 52,4%
UNGARN 51,4% 45,4%
NIEDERLANDE 86,2% 43,5%
BULGARIEN 40,3% 35,1%
DÄNEMARK 49,7% 34,7%
LETTLAND 38,8% 29,7%
BELGIEN* 28,4% 29,0%
SCHWEDEN 34,5% 27,1%
FINNLAND 34,5% 25,7%
ISLAND 32,4% 25,1%
EU-27 29,9% 23,1%
FRANKREICH 22,8% 21,6%
NORWEGEN 31,3%** 18,8%
LITAUEN 28,4% 16,5%
IRLAND 19,1% 16,4%
RUMÄNIEN 11,9% 11,8%
UK 15,2% 10,3%
TÜRKEI 6,5%** 10,1%
ITALIEN* 6,5% 6,9%
ZYPERN 3,4% 2,5%
SPANIEN 1,3% 1,0%
PORTUGAL 2,5% 0,7%
Anteil vergrößert
Anteil verringert
*) Deutsch teilw. Amtssprache
**) 2006
Quelle: Eurostat
gelernt haben muss. Im "Wörterbuch des Brünner Hantec" im Internet auf www.hantec.cz (tschechisch) findet man eine
Reihe von deutschen Begriffen wieder: Wenn jemand also morgens mit seinem "vagen" (Wagen) übers "bergl" (Berg,
Hügel) ins "štatl" (Brünner Innenstadt) in die "hokna" (Hock'n, Arbeit) fährt, in ein "kšeft" (Geschäft) am nächsten "ekl"
(Eck) einkaufen geht dort mit einem "tauzna" (1000-Kronen-Schein) zahlt (zahlen = "cálovat") und dafür einen "cetl"
(Quittung, Zettel) erhält, so werden das zum "zlus" (Schluss) "zichr" (sicher) sowohl Österreicher, als auch Brünner
verstehen.
Das Hantec wurde auch nach der Auflösung der Monarchie gepflegt und überdauerte auch die Ära des Kommunismus. Mit
der neuen Generation hat sich auch das Hantec von der Unterschicht-Sprache zur traditionellen Brünner
Umgangssprache weiterentwickelt, sodass eine lokale Kultur mit zeitgenössischen Liedern, Literatur und neuen Begriffen
entstand.
UR-UNCOOL!
"Brünn" oder "Brno", "Cheb" oder "Eger"?
Über Deutsch in Tschechien zu diskutieren ist kaum möglich, ohne
über die Verwendung deutscher Begriffe für tschechische
topographische Bezeichnungen zu sprechen. Hier scheiden sich die
Geister, wie man in diversen Diskussionsforen nachlesen kann.
Unversöhnlich scheint sich das größere Lager der Deutsch-
Vermeider den Deutsch-Verwendern gegenüberzustehen, und verbal
bekämpfen die beiden Gruppen einander, als ob sie die Irrwege der
Geschichte des 20. Jahrhunderts auch innerhalb der deutschen
Sprachgruppe wiederholen wollen. In der Praxis ist es in
Tschechien weitaus weniger problematisch: Das strikte
Deutschverbot der CSSR-Ära ist längst aufgeweicht, und die
deutschen Gäste werden von tschechischer Seite mit aller
Selbstverständlichkeit mit "Willkommen in
Eger/Reichenberg/Iglau/Königgrätz/Brünn" begrüßt. Oft ertappt
man sich, dass der deutsche Name eines Ortes von einem
Einwohner genannt wird, man selber aber nur den tschechischen
kennt.
Die Redaktion Powidl versucht daher immer, den üblicheren Begriff
zu verwenden, aber mindestens einmal auch den weniger
gebräuchlichen zu nennen. Es macht wenig Sinn, einen deutschen
Ortsnamen ins Auto-Navi einzugeben oder im Eisenbahnfahrplan zu
suchen. Die Kenntnis der lokalen Bezeichnungen ist immer
begrüßenswert und eine wesentliche Bereicherung. Daher ein klares
Ja zu "Brünn", "Znaim", "Aussig" und "Teplitz", aber doch eher
Nein zu "Jaispitz", "Gaja", "Göding" und "Blanz".
Was Hänschen nicht lernt, das soll Hans also mit links schaffen. Während der
Anteil der Deutsch lernenden Schülerinnen und Schüler seit den 1990er
Jahren kontinuierlich sinkt, erlebt der Deutschunterricht in der
Erwachsenenbildung einen Höhenflug. Das spricht nicht unbedingt für eine
weise Bildungspolitik in den europäischen Staaten.
Vor allem die östlichen Nachbarn Deutschlands und Österreichs, also Polen,
Tschechien, die Slowakei und Ungarn, sollten den Spracherwerb des
Deutschen für die junge Generation nicht aus den Augen verlieren: Deutsch
ist die meistgesprochene Sprache in der EU und fungiert im mittel- und
osteuropäischen Raum immer noch als Verständigungssprache etwa zwischen
Tschechen und Ungarn. Die Kenntnis der deutschen Sprache ist auch für den
schleppenden kulturellen Austausch zwischen Tschechen und den
deutschsprachigen Nachbarn von immenser Bedeutung. Es ist daher bei allem
Verständnis für den Sparkurs der einzelnen Regierungen in den CEE-Ländern
unverständlich, dass gerade hier beim Angebot des Deutschunterrichtes für
Kinder und Jugendliche gespart wird und den Jüngsten Chancen genommen
werden, die sie sich als Erwachsener womöglich teuer erkaufen müssen.
Deutschunterricht:
Schule Flop,
Erwachsenenbildung Top
Powidls
Kommentar
Mit dem "vagen" übers "bergl" ins "štatl"
zur "hokna"
"Hantec", die alte Brünner Umgangssprache, wird neu
entdeckt. - Warum man als Österreicher in Brünn keine
Sprachschwierigkeiten haben kann.
In Brünn hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine Umgangssprache gebildet,
die sich vom übrigen Tschechisch grundlegend unterscheidet. Das "Brünner
Hantec", wie dieser Dialekt genannt wird, entstand, als die "Hannaken", die
mährische Landbevölkerung aus der Hanna-Ebene nahe Brünn, in die
aufstrebende Stadt gelangten und dort auf die deutschsprachige Bevölkerung
trafen. Die deutsche (eigentlich altösterreichische) Umgangssprache
vermischte sich mit dem mährischen Dialekt, und weil Brünn ein
internationaler Kreuzungspunkt der Handelswege geworden ist, wurden auch
Wörter aus dem Italienischem, dem Jiddischen und anderen Sprachen
integriert.
Viele alteingesessene Brünner sprechen auch heute noch im Hantec. Das ist
auch mit ein Grund, dass ein Großteil der Begriffe der österreichischen
Umgangssprache auch verstanden werden, obwohl das Gegenüber nie Deutsch
Die Brünner Rathausstraße
(Radnicka) anno dazumal
mit dem angrenzenden
Krautmarkt gilt als
Geburtsstätte des Brünner
Hantec. Bild: hantec.cz
Tschechien und die deutsche Sprache