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"Powidl" Glosse von Wolfgang Martin
Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man es als Lausbubenstreich abtun. Was sich aber im Moment in Tschechiens Politik abspielt, ist für das Land mehr als bedrohend. Der letzte Streich: die Überraschungsaktion der Tschechischen Notenbank, die übers vergangene Wochenende Hals über Kopf Kronen auf den Markt warf und die tschechische Währung um über 6% abwertete. Über die letzten Jahre wunderten sich die Experten, warum Tschechien seine Währung, den "Franken des Ostens", so hart gehalten hat. Allerlei Gerüchte über die Ursache machten die Runde, wie etwa versprochene Dollarzahlungen - seinerzeit beim geplanten Abwehrschild der Amerikaner oder bei der Auftragsvergabe beim Temelin-Ausbau an US-Firmen. Nun wird die Krone in einer Blitzaktion gegenüber dem Dollar um 6,1 Prozent in den Keller geschossen. Wohl dem, der davon wusste und genug von den amerikanischen Scheinchen unter der Matratze hat. Jetzt, da im Land die Insolvenzen explodieren und selbst gesunde Firmen in den Konkurs getrieben wurden, kommt das Argument, man wolle durch die Abwertung die heimische Wirtschaft stützen. Nicht nur, dass es dazu zu spät ist. Um wirklich etwas für die heimische Wirtschaft zu tun, müsste zuerst die gesamte Verwaltung reformiert werden, die dem EU-Standard um Lichtjahre nachhängt. Das hieße, international erfahrene Experten ins Land zu holen, die mit professionellem Know-how den Wirtschaftsstandort Tschechien wieder up-to-date machen. Welche Monsteraufgabe das selbst für Experten darstellt, sei anhand einiger Beispiele dokumentiert. Das Finanzamt hat für jede Abgabe ein eigenes Konto, das in sich eigens verwaltet wird. Das heißt im Klartext, für jede Transaktion gibt es beim Finanzamt eine eigene Kontoverbindung. Zum Beispiel Privatpauschale KFZ, Vorsteuer, Pönale, Strafen usw. sind immer einzeln auf eine jeweilige andere Kontoverbindung zu überweisen. Gleich verhält es sich bei Sozialversicherung, Pensionsversicherung, etc. Ein Wirrwarr an Konten, bei dem Fehler von beiden Seiten vorprogrammiert sind. Hat man beispielweise auf ein falsches Konto überwiesen, somit auf jenem Konto ein Guthaben, nutzt das wenig. Strafen, Pönale und schlechtestenfalls Exekutionen sind fällig, obwohl das Geld bei der gleichen Behörde liegt und der Saldo eigentlich ausgeglichen ist. Damit es nicht nur Gewohnheit wird, werden zwischendurch die Konten auch noch gewechselt. Ein Verwaltungsaufwand, der es in sich hat, und der für dauerhaften Ärger sorgt. Schwer reformbedürftig ist auch die Einbringung von Forderungen. Exekutionen werden in Tschechien größtenteils von "privaten" freiberuflichen Gerichtsexekutoren durchgeführt, die auf Provision arbeiten und daher alles beschlagnahmen, was nicht niet- und nagelfest ist. Sie sind natürlich interessiert, so schnell wie möglich zu ihrer Provision zu kommen. Dabei kommt es zu den kuriosesten Fällen. Das erschütternde dabei ist, dass mit diesem System Privatschuldner und Kleinunternehmer mit teilweise lächerlichen Schulden in die Armut getrieben werden, anstatt dass Sanierungslösungen angestrebt werden. Grotesk wird es dann - was schon vorgekommen ist - wenn der "private" Exekutor Geld oder Ware veruntreut, oder selbst ein Insolvenzfall wird. Im ersteren Fall bleibt der Schuldner auf seinen Schulden sitzen und hat eben Pech gehabt. Zum Handkuss kommen vor allem die Menschen, welche die Spirale "Einkommen" und Ausgaben nicht mehr schaffen, wie Hilfsarbeiter, Pensionisten, Sozialempfänger und Kleinunternehmer. So schnell die Preise von Strom, Lebensmittel, Kleidung, Maschinen etc. an den EU-Schnitt angepasst wurden, so vergesslich war man bei den Gehältern. Nehmen wir also an, ein alleinstehender Pensionist mit umgerechnet 280 € Pension, kleinem Haus und kleinem Garten, der unter Entbehrungen sich sein Heim geschaffen hat. Er hat keinerlei Chance, dieses zu erhalten. Selbst ein Umzug in eine kleine Wohnung ist mit diesen finanziellen Mitteln unmöglich, selbst dann nicht, wenn er das Haus zeitgerecht verkauft. Ein weiteres Indiz dafür wie schlecht es einem Großteil der Bevölkerung bereits geht, ist die Zunahme des Flaschenbierkonsums um fünf Prozent, was nichts anderes heißt als dass die Menschen aus Not in den eigenen vier Wänden bleiben müssen. Selbst in den kommunistischen Zeiten konnte man sich noch sein Bierchen in der Kneipe leisten. Fakt ist jedenfalls, dass ein schleichender Prozess der wirtschaftlichen Selbstvernichtung eingesetzt hat. Darüber können auch noch so gute Wirtschaftsdaten nicht hinwegtäuschen. Es ist ein Stillstand eingetreten, die Taschen der Bevölkerung sind größtenteils leer und eine stabile und fähige Regierung ist nicht in Sicht. "Prodej" ("zu verkaufen") ist im Moment das erste tschechische Wort, das man als Ausländer lernt. Man sieht es zuhauf auf Häusern und Geschäften. Es bleibt der tschechischen Bevölkerung nur zu wünschen, dass der Titel der Glosse weit übertrieben ist, und es doch noch rechtzeitig eine Wende zum Guten gibt.
Droht Tschechien der Super-Gau?